Identitätsorientierte Psychotraumatherapie (IoPT)

Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie traumatisiert sind, würden Sie wahrscheinlich antworten: „Nein, mir ist nichts Schlimmes widerfahren.“  Das mag dann daran liegen, dass es wirklich so ist, oder dass Sie das Trauma ganz weit abgespalten haben und/oder zu einer Zeit erlebt haben, in der Sie noch kein Bewusstsein oder Erinnerungsvermögen hatten.

Beim Wort Trauma denken wir sofort an Krieg, Unfall oder Verbrechen.  Viel häufiger jedoch sind es unsere frühkindlichen, sogar vorgeburtlichen Beziehungen und Lebenserfahrungen, die uns nachhaltig prägen und belasten.  Wir mussten früh schmerzhaftes abspalten und ins Unbewusste verdrängen, um überhaupt überleben zu können.  Aus diesen Prägungen resultiert unsere Selbstwahrnehmung und die Art, wie wir unser Leben bewältigen.  Wenn wir traumatisiert sind, wird unsere Fähigkeit Stress zu verarbeiten und uns selbst zu regulieren sehr beschränkt, denn je jünger wir sind, je weniger Einfluss haben wir auf das, was um uns herum geschieht und je ausgelieferter und ohnmächtiger sind wir.  Das heißt, wie sicher wir uns gerade jetzt in der Welt fühlen, hängt viel mehr von unseren frühen inneren Prägungen ab, als von der aktuellen Situation selbst.

Laut Prof. Franz Ruppert, Gründer der IoPT (Identitätsorientierte Psychotraumatherapie), entsteht nach einem Trauma die Spaltung der Psyche in 3 Persönlichkeitsanteile:

  • der traumatisierte Anteil: in ihm sind unsere unaushaltbaren Gefühle und unser Opfer-Sein verborgen.  Traumatisierte Anteile sind abgespalten, nicht bewusst, werden aber durch aktuelle Lebenssituationen „getriggert“ und emotional erinnert.  Geschieht das, fühlen wir uns diesen Gefühlen gegenüber oft hilflos und ausgeliefert, denn wir können sie nicht „kontrollieren“.
  • der Überlebensanteil: er ist der Schutzmechanismus unserer Psyche der ALLES dafür tut, die unerträgliche, einst erlebte Realität aus dem Bewusstsein zu verdrängen durch Ablenkung, Konsum, Illusionen, Verstrickungen, Identifikationen,…  Das kostet permanent viel Energie und hält die Spaltung in uns aufrecht.
  • der gesunde Anteil: egal wie schlimm die Spaltung und das Trauma ist, ein gesunder Anteil bleibt immer erhalten.  Es ist dieser Anteil in uns, durch den wir die Spaltung in uns auflösen indem wir die abgespaltenen Anteile fühlen, vergegenwärtigen und allmählich integrieren.

Häufige psychische Folgen von Bindungstrauma sind Ängste, Depressionen, Burnout und körperliche Krankheiten.   Aus dieser unbewussten Spaltung in uns resultiert ein durch Schuld und Scham geprägtes Selbstbild mit negativen Glaubenssätzen, mangelndem Selbstvertrauen, mangelndem Selbstwertgefühl.  Es fällt nicht leicht, für sich einzustehen, Nein zu sagen, sich abzugrenzen und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu spüren oder mitzuteilen.  Die durch das Trauma verursachte Spaltung sorgt auch dafür, dass wir unseren Körper nicht spüren, keinen eigenen Willen haben und Gefühle „denken“ statt sie wirklich zu fühlen.  Daraus entsteht eine tiefe ungesunde Täter-Opfer-Dynamik uns selbst und anderen gegenüber.  Das kostet sehr viel Energie, Beziehungen gelingen nicht und wir sind ständig im Kampf im Innen und Außen.

Die „Selbstbegegnung“ ist eine Methode, die es ermöglicht, diese unbewussten, abgespaltenen inneren Anteile sichtbar und spürbar zu machen und ihnen zu begegnen.  Der Prozess der Selbstbegegnung ermöglicht es, die innere und äußere Realität wieder in Übereinstimmung zu bringen, abgespaltene Anteile zu integrieren, gesunde Anteile zu fördern und somit das eigene Ich und den eigenen Willen zu entwickeln.  So entsteht allmählich die eigene Identität, die ein lebensbejahendes, selbstverantwortliches und selbständiges Leben ermöglicht.